Zum Sonntag
Wohin sollen wir gehen?
Jesus ist in den Evangelien nicht immer der liebe Jesus. Im Johannesevangelium hält er eine schwer zu ertragene Rede. Er spricht von seinem Leiden und Sterben. Deutet seinen Tod als Hingabe. Der Evangelist Johannes erkennt darin das Abendmahl. Jesus drückt es bei ihm in drastischen Worten aus. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben.“ Jesus ist hier hart zu sich und anderen. Er erwartet Hingabe, Opferbereitschaft und Vertrauen. Vielen ist das zu viel. Haben sie bislang gerne zugehört bei seinen Geschichten und gestaunt über Heilungen, so wenden sie sich jetzt ab. Und Jesus fragt seine engsten Freunde: Wollt ihr mich jetzt auch verlassen? Da ist es Petrus, der ein starkes Bekenntnis zu Jesus ablegt. „Wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ (Joh. 6,68).
Jesus ist nicht immer der liebe Jesus, der mich so annimmt, wie ich bin und meine Lasten trägt. Er mutet mir manches zu, auch meinem Verstand. Ich verstehe nicht, warum er sterben muss. Zur Sühne für das Böse in mir und in der Welt? Gibt es keine andere Lösung? Will Gott, dass einer sterben muss? Und dann auch noch ausgerechnet der, der ohne Schuld ist? Nein - ich verstehe nicht, warum Blut fließt - damals und heute. Ich verstehe die Logik der Gewalt nicht. Ich verstehe das Leiden nicht. Soll ich mich also verabschieden von einer Kirche, die die Passionszeit gestaltet und Kommunion und Abendmahl feiert?
Ich mag nicht gehen. Denn da ist eine Ahnung in mir, dass in der Botschaft von der Hingabe Jesu mehr Wahrheit und Tiefe steckt, als ich jetzt sehen und verstehen kann. Hingabe und Opferbereitschaft widersprechen der angesagten Logik von Selbstbestimmung und Wellness. Aber wird die Welt nicht kälter ohne das Kreuz, ohne Hingabe und Opferbereitschaft? Ohne den Dienst der Krankenschwester auf der Coronastation und dem Engagement des Arztes , der seinen Urlaub opfert, um im syrischen Erdbebengebiet zu helfen?
Jesus ist nicht immer der liebe Jesus und die Kirche nicht die liebenswerte Institution mitten in den Dörfern und Städten. Ihre lange so selbstverständliche Autorität scheint verloren. Althergebrachte Privilegien wie Staatsleistungen und Kirchensteuer werden in Frage gestellt. Die Achtung vor ihren Amtsträgern ist verloren gegangen. Austrittszahlen sind so hoch wie nie. Wollt ihr jetzt auch gehen?
Aber wohin sollen wir gehen? Wo sonst höre ich Worte, die meinen Glauben stärken, wenn nicht im Gottesdienst? Wo sonst bleibe ich mit dieser unverwüstlichen biblischen Hoffnung auf Zukunft in Kontakt, wenn nicht in der Institution, die die Bibel durch die Zeiten bewahrt hat?
Andere mögen dafür andere Orte haben, ich nicht. Ich brauche die Kirche Jesu Christi um in Verbindung zu bleiben mit ihm - mit all meinen Fragen und Zweifeln. Er ist nicht immer der liebe Jesus. Aber ich sehe ihn wie Petrus: Er hat Worte des Lebens – Worte die mir Halt und Orientierung geben und Hoffnung für die Welt.
Friedrich Behmenburg ist Pastor in Ruhe der ev.-reformierten Kirche.
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