Post vom Chefredakteur
Wir wollen ergründen, was Ihnen wirklich wichtig ist
Liebe Leserinnen und Leser,
was wollen Sie eigentlich?
Hinter dieser Frage, die ich zum Einstieg in meinen neuen Brief an Sie bewusst so barsch und unhöflich formuliere, steckt im Kern die Gretchenfrage, mit der sich Redaktionen immer intensiver beschäftigen. Denn zu unserem Leidwesen mutieren GN-Leser und Online-User vor allem in den jüngeren Zielgruppen erkennbar zu unbekannten Wesen, die sich mit einem umfangreichen, aktuellen und seriösen Informationsangebot alleine nicht zufriedengeben.
Wie bleiben wir unverzichtbar?
Diese Entwicklung berührt unseren Markenkern und verändert das journalistische Selbstverständnis. Sie zwingt Redaktionen, sich mit ihren Konsumenten gründlich zu befassen. Weil ich mit diesen Informationen keine neuen Erkenntnisse serviere, sondern Ihnen einen Zwischenstand bei den Bemühungen um ein verändertes Selbstverständnis vermitteln will, formuliere ich meine Eingangsfrage auch sofort um: Wie bekommen wir es hin, für Sie unverzichtbar zu bleiben – oder zu werden?
Reibung und Widerspruch
Mit unserem Bündnis „Drive“, dem mehr als 20 deutsche Medienhäuser angehören, hat mein Kollege Steffen Burkert Sie in seinen Newslettern ja bereits vertraut gemacht. Durch diese von konsequenter Datenanalyse geprägte Zusammenarbeit wollen wir den Leser, das leider noch zu unbekannte Wesen, bestmöglich entschlüsseln. Um nicht missverstanden zu werden: Wir wollen Ihnen nicht nach dem Munde schreiben. Ich finde, einer traditionsreichen Heimatzeitung wie den GN steht es gut an, für Diskussionen, Reibung und Widerspruch zu sorgen.
Paradebeispiel für diese Haltung ist die Vielzahl von Artikeln, Fotos und Filmen über die Nordhorner Eissporthalle. Wir haben informiert und Position bezogen, dafür gab es neben Zustimmung auch jede Menge verbale Prügel auf GN-Online oder im Netzwerk „Facebook“. Meinungsbildung mit Schrammen eben, die nehmen wir in Kauf.
Es geht um Bedürfnisse
Wir lernen aus der journalistischen Forschungswerkstatt, dass die Adressaten unseres Nachrichtengeschäfts ganz konkrete Ansprüche stellen, sie werden etwas behäbig-altertümlich, aber treffend als „Bedürfnisse“ beschrieben. Will sagen: Pure Information in der Form einer klassischen und möglichst ausgewogenen Berichterstattung ist nicht das Ziel, sondern professionelle Selbstverständlichkeit und unverzichtbare Basis unserer Arbeit. Auf dieser Plattform finden eben jene Bedürfnisse Platz und Halt, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, an uns binden.
Beispiele? In der Gesellschaft, gleichsam im Grafschafter Gemeinwesen, bestimmt immer stärker ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden die Diskussionen. Es berührt etwa die Rechtsprechung und damit unsere Geschichten aus dem Amts- und Landgericht. Das kürzlich in Nordhorn gesprochene Urteil und seine Begründung in der Verhandlung um einen jungen Syrer, der in der Euregio-Klinik randaliert und Polizisten attackiert hatte, rief ein breites und kontroverses Echo hervor – nicht nur in den Kommentaren auf den digitalen Plattformen, auch an den echten Stammtischen und quer durch die Bevölkerungsgruppen.
Heimat wird wieder wichtiger
Wir lernen in unserem redaktionellen Maschinenraum, dass Heimatverbundenheit offenbar an Bedeutung gewinnt, je unübersichtlicher und bedrohlicher die globale Entwicklung verläuft. Diese Erkenntnis wird unsere Einschätzung, wie das Leben vor der eigenen Haustür journalistisch zu bewerten ist, unweigerlich beeinflussen. Wie dem Wert des Vereinswesens, des lokalen Kulturschaffens oder der Sportgemeinschaften gerecht werden? Ich denke, dass ein reines Abbild des Geschehens tendenziell den Porträts von Protagonisten, hintergründiger Ausleuchtung oder Betrachtungen weichen wird, die Perspektiven bieten – bis hin zur Ermunterung zu einer aktiven Beteiligung, um kommunale Strukturen zu stärken.
Sensationslust - das klingt böse
Wir erhalten Daten, die ein wachsendes individuelles Bedürfnis nach „Empathie“ und „Sensation“ zeigen. Wiederum klingen diese Oberbegriffe böser, als sie gemeint sind. Zum einen prägt die Lust am Ungewöhnlichen, Unerwarteten und Erschreckenden – Stichwort: Blaulicht – die menschliche Natur seit jeher. Doch Mitgefühl, die Freude am guten Vorbild – Stichworte: Ehrenamt und Hilfsbereitschaft – und die Sehnsucht nach der positiven Nachricht stehen dem mindestens gleichberechtigt gegenüber.
Umgang mit menschlichem Leid
Um bei dieser Gelegenheit einer Fehleinschätzung zu begegnen: Kein Journalist mit dem GN-Gen berichtet freudig über schwere Unfälle oder Kriminaldelikte. Die erforderliche Professionalität im Umgang mit menschlichem Leid erfordert viel Kraft und Rückendeckung, bisweilen auch eine Erholungspause. Viel lieber ergründen wir, was Menschen zum Ehrenamt bringt oder in anderer Weise vorbildlich aus der Masse hervorhebt.
Ich lade Sie ausdrücklich ein, uns bei diesem Transformationsprozess zu begleiten. Wir werden Sie im Chefredakteurs-Newsletter über die weitere Entwicklung offen und transparent informieren, weil Sie das im Jahr vor dem 150. Jubiläum der GN erwarten dürfen. Noch besser wäre, Sie helfen uns mit Anregungen oder kritischen Hinweisen. Es wäre mir ein Bedürfnis.

