Post vom Chefredakteur
3. Was in der Zeitung steht… ist nie objektiv
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wären alle Medien und alle Medienmacher absolut objektiv und gäbe es eine exakte Wissenschaft der Nachrichtenauswahl, -aufbereitung und -gewichtung, dann müssten alle Nachrichten über dasselbe Ereignis in allen Zeitungen und allen Sendungen exakt gleich ausfallen. Das ist natürlich nicht der Fall. Denn es gibt zwar Regeln, nach denen professionelle Journalisten Nachrichten auswählen, aufbereiten und gewichten. Aber diese Regeln sind gar nicht so leicht zu fassen. Ich könnte sie hier, in Teil 3 meiner Serie, nicht in wenigen, allgemein gültigen Sätzen zusammenfassen.
Das mag Sie überraschen, ist aber gar nicht so ungewöhnlich. Was macht zum Beispiel einen guten Lehrer aus? Können Sie mir allgemein gültige, exakte Regeln für guten Unterricht nennen? Es gibt Lehrer, die unterrichten sehr unterschiedlich – und dennoch jeder auf seine Weise gut. Was zeichnet eine gute Pastorin, einen guten Polizisten oder einen guten Friseur aus? Für all diese Berufe gibt es Ausbildungen und so etwas wie Standesregeln, die als allgemein verbindlich anerkannt sind. Aber letztlich gibt es immer auch einen gewissen Spielraum, wie eine Pastorin ihre Predigt aufbaut, wie ein Polizist mit einem Verkehrssünder spricht, wie ein Friseur seine Kunden berät.
Genauso ist es im Journalismus: Persönliche Charakterzüge und Grundüberzeugungen, Bildung und Erziehung, Berufs- und Lebenserfahrung, vermeintliche oder tatsächliche Erwartungen der Leser und natürlich auch Versuche politischer Einflussnahme und wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers wirken sich mal stärker, mal schwächer aus.
Einflüsse zumindest kenntlich machen
Ein guter, ein professioneller Journalist ist sich dessen bewusst und bemüht sich darum, sich von diesen Faktoren nicht allzu sehr beeinflussen zu lassen. Ganz ausschalten kann er sie nie. Aber meine persönliche Einschätzung und Erfahrung ist, dass dies den meisten Journalisten ziemlich gut gelingt.
Selbstverständlich kommt es vor, dass Politiker den Chefredakteur anrufen und Einfluss auf die Berichterstattung nehmen wollen. Selbstverständlich versuchen Anzeigenkunden, mit wirtschaftlichem Druck unliebsame Berichterstattung zu unterdrücken oder Werbebotschaften in redaktionellen Texten zu platzieren. Und es gibt auch Verleger und Verlage, die eine politische Agenda verfolgen und von ihren Journalisten eine bestimmte Haltung einfordern (was ich bei den Grafschafter Nachrichten allerdings noch nie erlebt habe).
Journalisten, die ihrer gesellschaftlichen Bedeutung gerecht werden wollen, müssen sich dem so gut wie möglich widersetzen oder diese Einflüsse zumindest transparent kenntlich machen. Sie werden aber gelegentlich auch Kompromisse eingehen – weil sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren wollen, weil sie Konflikten aus dem Wege gehen oder andere persönliche Interessen verfolgen.
Einseitiger Vorwurf der Einseitigkeit
Journalisten sind also nicht objektiv. Es gibt vielfältige Versuche, sie zu beeinflussen, und es gelingt ihnen keineswegs immer, sich diesen Einflüssen zu widersetzen. Dennoch gibt es starke Argumente dafür, dass Medien in ihrer Gesamtheit durchaus vertrauenswürdig sind. Vor allem der Vorwurf, dass Medien parteipolitisch einseitig berichten, ist häufig selbst parteipolitisch einseitig. Es sind vor allem die Parteipolitiker selbst, die sich nicht vorstellen können, dass Journalisten politisch interessiert und trotzdem ungebunden sind.
Die Folge ist, dass sich mancher Journalist aus so ziemlich jedem politischen Lager vorwerfen lassen muss, auf der jeweils anderen Seite zu stehen. Ich finde, das ist der stärkste Beweis für seine Unabhängigkeit. Wäre ein Politiker mit einem Journalisten vollauf zufrieden, sollten bei diesem alle Alarmglocken schrillen. Sind hingegen Politiker unterschiedlicher Couleur mit ihm gleichermaßen unzufrieden, macht er vermutlich vieles richtig. Und das hören wir erfreulich oft. Denn nicht diejenigen sollen mit unserer Arbeit zufrieden sein, über die wir berichten, sondern diejenigen, für die wir berichten.
Vielfalt schafft Objektivität
Medienmacher sind Menschen, und Menschen sind subjektiv. Das ist keineswegs nachteilig, sondern im Gegenteil sogar vorteilhaft für den Journalismus – zumindest dann, wenn es, wie in Deutschland, so viele unabhängige Zeitungsverlage gibt. Die Individualität und nie ganz auszuschaltende Subjektivität der vielen Journalisten verhindert gerade, dass es lauter gleichgeschaltete Mainstream-Medien geben kann.
Es stimmt zwar, dass immer wieder das Phänomen des „Rudel-Journalismus“ zu beobachten ist: Alle Journalisten scheinen sich in ein und dasselbe Thema zu verbeißen und verlieren den Blick dafür, was links und rechts sonst noch an Berichtenswertem geschieht. Aber diese Rudel lösen sich auch wieder auf. Irgendwann schert garantiert jemand aus, entdeckt andere lohnende Ziele und lockt damit wiederum einen Teil der Meute auf seine Spur.
Vielfalt schafft in ihrer Gesamtheit Objektivität. Ob es diese Vielfalt auf Dauer weiter geben wird, liegt letztlich auch an Ihnen, den Lesern und Käufern. Ohne die Bereitschaft, für hochwertigen Journalismus angemessen zu bezahlen, wird Ihnen diese Vielfalt und damit letztlich auch die Qualität und Objektivität der deutschen Medien nicht erhalten bleiben.
Übrigens: Auch Sie, unsere Leserinnen und Leser, können ganz unmittelbar Einfluss darauf nehmen, wie Nachrichten auf GN-Online gewichtet werden. In der nächsten Folge meiner Serie zeigen ich Ihnen, wie das geht.

