Post vom Chefredakteur
Namen sind Nachrichten: Wenn das so einfach wäre
Schnelligkeit ist im Nachrichtengeschäft ein Faktor, der über Erfolg und Misserfolg entscheiden kann. Journalisten stehen bei ihrer Arbeit zumeist auf dem Gaspedal, weil sie Neuigkeiten vor allen anderen verbreiten wollen, und diese Hektik wird im Internet-Zeitalter mehr und mehr befeuert.
Donnerwetter, der Kane kommt
Ein Beispiel: Als der englische Fußball-Star Harry Kane das Flugzeug nach München bestieg, glühten die Nachrichtenticker, obwohl sie nichts zu melden hatten. So erfuhren die gespannten User, dass sich die Ankunft des Kickers um einige Minuten verzögern könnte. Donnerwetter! Nur nebenbei bemerkt: Der 100-Millionen-Einkauf des FC Bayern wurde an diesem Tag nicht zum Tore schießen erwartet, sondern zum Medizin-Check.
1000 Kinder strahlen um die Wette
Manchmal schaffen Journalisten allerdings Bleibendes. In diese Kategorie fällt ein Produkt der Grafschafter Nachrichten, das vom Hype um den begehrten Mittelstürmer soweit entfernt ist wie seine Ablösesumme von jeglicher Vernunft. Ich spreche von der klassischen Verlagsbeilage „Mein erster Schultag“. Am 26. August, wenige Tage nach der Einschulung, fanden sich mehr als 1000 Mädchen und Jungs mit ihren Lehrerinnen und Lehrern auf 16 Zeitungsseiten wieder. Was für eine herzerwärmende Präsentation: Stolz und aufgeregt blicken uns die i-Dötzchen auf 76 neuen Klassenfotos in 36 Grafschafter Grundschulen entgegen.
„Mein erster Schultag“ ist ein Sympathieträger und erreicht eine große Zielgruppe. „Alle werden die Daumen gedrückt haben: Eltern, Großeltern, Geschwister, Paten – bestimmt auch viele Onkel und Tanten, Nachbarn und Freunde“, schreibt mein Kollege Andre Berends auf Seite 3 und weist auf den Wert des Lesenlernens hin. Das Thema zieht sich in spannenden Beiträgen durch die gesamte Publikation.

Seit 17 Jahren ein Erfolgsprodukt mit hohem Sympathiewert: Die Beilage „Mein erster Schultag“ der Grafschafter Nachrichten.
Zopf, Zahnlücke und Zuckertüte
Unser Teamleiter im Newsroom verantwortet die mit großem Aufwand produzierte Beilage seit nunmehr 17 Jahren. Gut möglich, dass manche, die in den ersten Ausgaben noch mit Zopf, Zahnlücke und Zuckertüte zu sehen waren und heute längst im Studium oder im Berufsleben stehen, gelegentlich einen Blick auf ihr Erstklassenfoto werfen. Ach ja, damals…
Von Nachnamen und...
Zwei Dinge sind mir in diesem Jahr aufgefallen: Zum einen zeigen viele Nachnamen, dass die Grafschaft schon längst zur Heimat für Familien geworden ist, deren Wurzeln in weit entfernten Ländern liegen. In den Grundschulen spielt das kaum eine Rolle. Gut so! Wer sich von Kindesbeinen an kennt, knüpft starke Bande.
...fehlenden Namen
Zum anderen finden sich inzwischen vermehrt Klassenfotos, unter denen die Namen der Kinder fehlen. Sie wurden den GN nicht mitgeteilt, wohl aus Gründen des Datenschutzes oder weil besorgte Eltern diese Publizität nicht wollen. Gestatten Sie mir dazu eine persönliche Anmerkung, liebe Leserinnen und Leser: Ich finde diese Anonymisierung höchst bedauerlich, ich halte sie in einem solch positiv-freundlichen Umfeld für unnötig.
Geburt, Heirat und Tod...
Ebenso wenig Verständnis kann ich dafür aufbringen, dass den GN bereits seit einigen Jahren die Möglichkeit genommen wird, über Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle zu berichten. Wir wissen, dass diese Mitteilungen in den Samstagausgaben zu den Top-Informationen in der Zeitung gehörten. Noch heute erreichen uns deswegen Anfragen aus der Leserschaft.
Diesen Veröffentlichungen hat das Land Niedersachsen einen Riegel vorgeschoben und den Standesämtern die Datenweitergabe an Medien untersagt. Mit einem politisch abgesegneten bürokratischen Willkürakt verschwindet zwangsläufig ein Stück Identität, das sich – besonders in kleinen Landkreisen wie der Grafschaft – aus Interesse, Mitfreude und Anteilnahme speist.
... gehören zum Leben
Wenn Heimatzeitungen mit ihren gedruckten und digitalen Erzeugnissen einen Beitrag für den Erhalt des Gemeinwesens leisten sollen, brauchen sie meines Erachtens den nötigen Freiraum, über die Menschen, die hier leben, zu schreiben. Und womöglich, ich wage mal die Formulierung, sogar Anerkennung und Unterstützung.
Es soll Funktionsträger geben, die so gar nichts dagegen haben, in den Medien aufzutauchen. Wir wollen sie auch in Zukunft keineswegs anonymisieren. „Namen sind Nachrichten“, die alte Zeitungsformel, sollte für alle gelten (dürfen).

