Post vom Chefredakteur
Das bisschen Haushalt... ist ganz schön kompliziert
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
„Das bisschen Haushalt...“: Dieser Uralt-Schlager verfolgt mich seit einigen Tagen und hat bei mir einen eher unangenehmen Ohrwurm verursacht. (Falls Sie trotzdem reinhören wollen: hier entlang...) In meinem Fall liegt das allerdings nicht an Schmutzwäsche, Geschirrbergen und Hausstaub, sondern am Terminkalender der Lokalredaktion. Dort taucht momentan ständig das Stichwort „Haushalt“ auf und triggert die Melodie in meinem Kopf.
Landkreis, Städte und Gemeinden in der Grafschaft sind diesmal früh dran mit ihrer Finanzplanung, die im öffentlichen Haushalt zusammengefasst, in Ausschüssen und Räten diskutiert und schließlich beschlossen wird. Für die Politiker sind diese Haushaltsberatungen eine entscheidende Phase im Jahr, denn sie können wichtige Weichen stellen. Schließlich geht es bei politischen Entscheidungen fast immer um ein knappes Gut: Geld. Und in der Haushaltsplanung wird festgelegt, wieviel wofür ausgegeben wird.
Riesenhaftes Zahlenwerk
Solch ein öffentlicher Haushalt ist - egal ob in einer kleinen Gemeinde wie Esche mit ihren 570 Einwohnern oder in der Bundesrepublik mit ihren 83 Millionen - ein komplexes und teils riesenhaftes Zahlenwerk, das jede einzelne Einnahme und Ausgabe in Euro und Cent auflistet. Am Ende eines monatelangen Beratungsprozesses steht eine Liste, die Politiker gern als „Buch der Bücher“ bezeichnen, das aber für Außenstehende eher ein „Buch mit sieben Siegeln“ ist. Dieser Haushaltsplan umfasst in Nordhorn oder beim Landkreis an die 1000 Seiten voller Zahlen - nicht nur für das jeweilige Haushaltsjahr, sondern auch für das Vorjahr und die Folgejahre. Für die werden nämlich vielfach bereits Ausgaben „vorgemerkt“ oder sogar per Verpflichtungsermächtigung schon im Voraus fest beschlossen. Genau solche Weichenstellungen machen die Haushaltsberatungen politisch so spannend - und für uns Journalisten so herausfordernd.

© Burkert, Steffen
Zahlen, Zahlen, Zahlen: Blick auf Seite 24 des Haushaltsentwurfs 2023 der Stadt Nordhorn.
Vorbereitung ist das A und O
Ich gebe offen zu: Auch uns fällt es nicht leicht, diesen Wust an Zahlen zu durchschauen. Was hilft, ist eine gründliche Ausbildung (um die wir uns bei unseren Volontärinnen bemühen) und ein guter Draht zu den Kämmerern, also den Leitern der kommunalen Finanzverwaltungen. Die bieten nicht nur neuen Ratsmitgliedern (und gelegentlich unseren Auszubildenden) Schulungen an, sondern beantworten auch geduldig Verständnisfragen.
Eine gute Vorbereitung ist das A und O, um als Beobachter den Haushaltsberatungen folgen zu können. „In der Regel lese ich Haushaltsentwürfe vor der entscheidenden Sitzung, die Dokumente sind in den Ratsinformationssystemen öffentlich einsehbar. So kann ich mich gezielt vorbereiten“, erzählt zum Beispiel mein Kollege Sascha Vennemann, der momentan viele Abende in Niedergrafschafter Sitzungssälen verbringt und sich vorab tief in die finanzielle Situation der Gemeinden einarbeitet.
Die Verwaltung plant, die Politik entscheidet
Wenn die Sitzungen beginnen, ist in den Amtsstuben schon eine Menge passiert. Die Ermittlung der Finanzdaten und der finanziellen Möglichkeiten mündet in den Haushaltsentwurf der Kämmerer. Der enthält alle zu erwartenden Einnahmen und die von der Verwaltung geplanten Ausgaben für das kommende Haushaltsjahr. Dieser Entwurf wird in den Fachausschüssen beraten, dabei werden die angemeldeten Maßnahmen (also zum Beispiel der Neubau eines Kindergartens, der Kauf eines neuen Feuerwehrfahrzeugs oder der Ausbau einer Straße) und deren geplante Finanzierung diskutiert - beispielsweise das Einwerben von Fördermitteln oder das Aufteilen auf mehrere Haushaltsjahre. Die politischen Parteien beraten diesen Entwurf dann wiederum in ihren Fraktionen und melden eigene Wünsche an. So „wächst“ in den Fachausschüssen und im Finanzausschuss über Monate der endgültige Haushaltsplan, der in der Haushaltssitzung abschließend beraten und beschlossen wird.
Augenmerk auf Wunschlisten
„Diese Systematik muss man als Berichterstatter erst mal verstanden haben, um beurteilen zu können, was an diesem Zahlenwust für den Leser wichtig ist“, betont mein Kollege Rolf Masselink, der am gestrigen Donnerstag ab 9 Uhr morgens viele Stunden zunächst in den Haushaltsberatungen im Nordhorner Rat verbracht und anschließend aktuell darüber geschrieben hat. „Uns interessieren dabei weniger die großen Ausgabenblöcke, die gesetzlich vorgeschrieben oder objektiv notwendig und somit kaum beeinflussbar sind - also zum Beispiel Personalkosten, Ausgaben für Jugendhilfe oder Hilfen zum Lebensunterhalt. Wichtig für unsere Berichterstattung sind die freiwilligen Leistungen, also die ‚Wünsche‘ von Verwaltung und Politik. Das können Ausgaben für große Projekte wie Schulen, Kitas, Straßen oder den Bau einer Eissporthalle sein, aber auch kleine Beträge wie ein Zuschuss für eine soziale oder kulturelle Einrichtung. Kurzum: alles, was Politik und Verwaltung für die Bürger gern hätten, was aber nicht rechtlich bindend vorgeschrieben ist.“
Was heißt das konkret?
„Die Kunst für uns ist es, das auf einige wenige Kennzahlen zu reduzieren, um dem Leser zu zeigen, was das sehr trockene Thema Haushalt eigentlich für ihn bedeutet“, erläutert unser Reporter Jonas Schönrock seine Aufgabe, wenn er die öffentlichen Finanzen vor allem in der Obergrafschaft, aber auch im Landkreis unter die Lupe nimmt. „Am wichtigsten sind die Investitionen, weil der Bürger daraus Konkretes ableiten kann: die neue Kita; die Straße, die endlich saniert wird; oder das Baugebiet, das erschlossen wird.“ Interessant ist auch der Schuldenstand beziehungsweise konkret die Pro-Kopf-Verschuldung: Wie viel müsste jeder Bürger zahlen, damit die Gemeinde schuldenfrei ist? Und wichtig ist natürlich, ob der Haushalt ausgeglichen ist, ob es also ein Gleichgewicht bei Einnahmen und Ausgaben gibt.
Kleiner Anteil, große Bedeutung
In den Haushaltssitzungen selbst hören unsere Reporter dann vor allem den Politikern zu. In den Redebeiträgen erfahren sie: Wofür haben sich die einzelnen Fraktionen eingesetzt? Welche Anträge haben sie eingebracht? Wurden diese berücksichtigt oder nicht? „Diese Reden sind ein Vehikel zum Schärfen des Parteiprofils“, erläutert GN-Reporter Sascha Vennemann. „Das ist insofern interessant, weil man in der Lokalpolitik, insbesondere im ländlichen Bereich, häufig den Eindruck hat, dass Entscheidungen nur in Ausnahmefällen nicht einstimmig gefällt werden. Da kann die Positionierung in den Haushaltsberatungen eine Entscheidungshilfe für Wähler sein, welcher Partei sie künftig bei Kommunalwahlen ihre Stimme geben, weil hier unterschiedliche Schwerpunkte deutlich gemacht werden können. Die cleveren Vorsitzenden wissen das und nutzen das in der Regel auch.“
So interessant die Änderungsanträge der politischen Parteien auch sein mögen, sie machen zusammengerechnet nur einen minimalen Anteil der jährlichen Ausgaben aus - beim Landkreis weniger als 0,5 Prozent! Aber sie drücken eben den politischen Gestaltungswillen der Parteien aus.
Journalisten sind keine Protokollführer
Um Sie, liebe Leserinnen und Leser, nicht zu sehr zu verwirren, beschränken wir uns in der Berichterstattung über diese „politischen Wunschlisten“ meist auf die Anträge, die tatsächlich eine Mehrheit finden oder die besondere Streitthemen darstellen. „Die eigentliche Haushaltsberichterstattung versuchen wir einfach, verständlich und übersichtlich zu halten. Wir geben die Haltung der Fraktionen zum Haushalt wieder, listen noch mal die wichtigsten Daten auf (Haushaltsvolumen, Investitionen, Schuldenentwicklung) und berichten gegebenenfalls über Besonderheiten der Debatte“, fasst Rolf Masselink zusammen.
Das bedeutet: Wir zitieren nicht jeden einzelnen Redner und liefern kein Verlaufsprotokoll der meist vielstündigen Haushaltssitzung! Das hätte mancher Politiker zwar gerne, würde Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, allerdings kaum weiterhelfen. Denn genau das ist ja der Unterschied zwischen Protokollführern (die es in den Sitzungen auch gibt) und Journalisten: dass wir uns stellvertretend für Sie in eine Materie einarbeiten, sie zusammenfassen und verständlich aufbereiten. Damit Sie nach der Lektüre dank unserer Vorarbeit zufrieden trällern können: „Das bisschen Haushalt ist doch kein Problem...“

