Weckruf an die Politik: Einmalige Medienlandschaft erhalten

Wie ich es sehe

Die Zeitungsbranche befindet sich in einem strukturellen Wandel. Der Wandel hat nicht erst gestern begonnen, und er wird auch nicht morgen schon abgeschlossen sein. Wie alle Zeitungsverlage stehen auch die Grafschafter Nachrichten vor der Herausforderung, ihr Kernprodukt Qualitätsjournalismus vom Vertrieb auf bedrucktem Papier auf digitale Vertriebskanäle umzustellen. In Zeiten von allgemeiner Digitalisierung, geändertem Mediennutzungsverhalten und mehr medialem Wettbewerb gepaart mit geringem Medienbudget unserer Nutzer stellt das eine anspruchsvolle Aufgabe dar. Die GN sind mit ihrem E-Paper, GN-Online und der News-App schon ein gutes Stück des Weges gegangen. Vor allem die jüngere Generation nutzt gerne die digitalen Angebote. Aber wie bei allen Lokalzeitungen in Deutschland ist das „neue“ Geschäftsmodell noch nicht tragfähig.

Woran liegt das? Die Tageszeitung ist Ritual, sie gehört morgens auf den Frühstückstisch. Dort wird gelesen, geteilt, diskutiert. Die meisten unserer Leser wollen das so und können sich gar nicht vorstellen, ihre GN nur noch digital zu lesen. Teilweise könnten sie es auch faktisch nicht, da der Breitbandausbau in der Grafschaft längst nicht alle Haushalte erreicht hat. Und so bleibt die gedruckte Zeitung nach wie vor unsere „cash-cow“, mit der wir den digitalen Strukturwandel finanzieren. Allerdings gerät das „alte“ Geschäftsmodell zusehends unter Druck: Das Papier kostet in diesem Jahr weit mehr als doppelt so viel wie im letzten Jahr, und der vom Gesetzgeber beschlossene Anstieg des Mindestlohns sorgt in der Zustellung für Kostensteigerungen von mehr als 20 Prozent. Diese Kosten können wir nur zu einem Teil an die Abonnenten weiterreichen.

Jochen Anderweit ist Verleger und Geschäftsführer der Grafschafter Nachrichten.

© Westdörp, Werner

Jochen Anderweit ist Verleger und Geschäftsführer der Grafschafter Nachrichten.

Die Tageszeitung ist zutiefst demokratiestiftend. Wenn in sozialen Medien gepöbelt wird, wenn Menschen nur noch in ihren eigenen Filterblasen leben und zwischen Schwarz und Weiß keine Grautöne zulassen, wirkt die Zeitung als vierte Gewalt. Die Journalistinnen und Journalisten arbeiten Sachverhalte auf, hinterfragen, stellen verschiedene Standpunkte ausgewogen dar und ordnen ein. Zuweilen kommentieren sie, und der ein oder andere Akteur bekommt (oft zu Recht) sein Fett weg. So können sich jede Leserin und jeder Leser auf neutrale Informationen verlassen, sich ihre eigene Meinung bilden und diese in ihre Wahlentscheidungen einfließen lassen. Wir sorgen für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist Demokratie! Für die Grafschafter Nachrichten nehme ich in Anspruch, dass unsere Redaktion diese Aufgabe in den allermeisten Fällen sehr gut löst.

Dass wir und alle anderen Tageszeitungen dieser Aufgabe – der Kontrolle der staatlichen Organe und der Information der Bevölkerung – so gut nachgehen können, wird uns in der deutschen Verfassung garantiert. Artikel 5 des Grundgesetzes gewährleistet die Pressefreiheit. Ebenfalls ist dort die Rundfunkfreiheit verankert, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Aufgabe zuweist, die Bevölkerung mit Nachrichten, Sport, Kultur, Bildung etc. „grundzuversorgen“. Dabei dürfen die Öffentlich-Rechtlichen, die sich im Gegensatz zur privatwirtschaftlichen Presse über Beiträge (immerhin rund 8,5 Mrd. Euro in 2022) finanzieren, der privaten Presse keine Konkurrenz mit viel Text und Bildern machen – das regelt der Medienstaatsvertrag. Zudem sollen sie nur landesweit und nicht im lokalen Raum unterwegs sein; dieses Prinzip wird leider vor allem in Bremen und im Saarland arrogant missachtet.

Medienpolitik ist Landespolitik. Man könnte meinen, dass den demokratischen Parteien in Niedersachsen angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die Zeitungen stehen, daran gelegen ist, diese einmalige Medienlandschaft mit ihrem vielfältigen Zeitungsangebot zu erhalten. Daher sind wir Zeitungsleute auch immer sehr gespannt, wie sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen zur Landtagswahl zur Medienlandschaft positionieren.

Leider ist das, was man dort zu lesen – besser: nicht zu lesen – bekommt, erschreckend: Die SPD erkennt in „Bürgermedien (…) eine zunehmende Bedeutung für den Zusammenhalt lokaler Zivilgesellschaften“, verkennt dabei aber völlig, dass die Reichweiten der Bürgermedien in der Bevölkerung seit Jahrzehnten begrenzt sind. Die CDU erkennt zumindest, dass eine „Vielfalt der medialen Angebote“ existiert. Wichtiger ist ihr allerdings, sich „für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ einzusetzen, „dessen Finanzierung zukünftig am besten durch ein Indexmodell sichergestellt wird.“ Also womöglich eine automatische Erhöhung der Zwangsbeiträge gemäß aktueller Inflationsrate. Die Grünen wiederum möchten den journalistischen Nachwuchs und den gemeinnützigen Journalismus sowie Bürgermedien fördern. (Die Förderung der journalistischen Aus- und Weiterbildung ist inzwischen schon im niedersächsischen Mediengesetz verankert, wenngleich der zuständigen Landesmedienanstalt dafür bisher keine Mittel zur Verfügung gestellt wurden.)

Nicht eine der großen Parteien in Niedersachsen erkennt an, dass die lokalen und regionalen Zeitungen und privaten Radiosender neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Ziele einer breit informierten Öffentlichkeit längst erfüllen.
Jochen Anderweit

Fazit: Nicht eine der großen Parteien in Niedersachsen erkennt an, dass die lokalen und regionalen Zeitungen und privaten Radiosender neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Ziele einer breit informierten Öffentlichkeit längst erfüllen. Sie ignorieren in ihren Wahlprogrammen völlig, vor welch immensen Herausforderungen und existenziellen Bedrohungen die deutsche Zeitungsbranche steht. Stattdessen möchten sie unisono mit Steuern und Beiträgen (neue) Bürgermedien und den NDR fördern. Da sei die Frage erlaubt, ob wir Tageszeitungen in den Wahlprogrammen nur aus Versehen zur Randnotiz verkommen sind, oder ob sich der ein oder andere Politiker seine Welt ohne kritische Presse bequemer vorstellt?

Immerhin: Die Niedersächsische und die Sächsische Landesregierung bringen dieser Tage eine Initiative in den Bundesrat ein, um auf Bundesebene die flächendeckende Verbreitung der Presse fördern zu lassen. Das Kalkül: Wenn der Bund fördert, wäre das Land (finanziell) aus dem Schneider?