27.11.2021, 08:00 Uhr / Lesedauer: ca. 5min

Kommentar

Einseitig und doch ausgewogen: Medien in der Pandemie

„Ehrliche Berichterstattung“ fordert diese Teilnehmerin einer Demonstration unter dem Titel „Medienmarsch“ gegen angebliche „Lügen der Presse“. Foto: dpa

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„Ehrliche Berichterstattung“ fordert diese Teilnehmerin einer Demonstration unter dem Titel „Medienmarsch“ gegen angebliche „Lügen der Presse“. Foto: dpa

author Von Steffen Burkert

Auch bei der Demonstration am vergangenen Wochenende in Nordhorn war der Vorwurf wieder zu hören: „Die Medien“ – also auch wir Journalisten bei den Grafschafter Nachrichten – berichteten zu einseitig, unkritisch und regierungsnah über die Corona-Pandemie und ihre Folgen. Aus dem Lautsprecher tönte die Behauptung: „Die Regierung setzt Medien für psychische Kontrollen der Menschen ein.“ Und auf einem Plakat wurde der angeblichen Impftoten gedacht, „die von den Ärzten und Medien verschwiegen werden“.

Da kam es wenig überraschend, dass auch unsere anschließende Berichterstattung über diesen Protestzug auf Kritik stieß. „Bitte lassen Sie auch differenzierte andere Meinungen zu und hören Sie auf, bei der Spaltung mitzumachen, indem Sie fast ausschließlich die Befürworter für diese Zwangsausgrenzung zu Wort kommen lassen“, forderte uns beispielsweise eine Leserin schriftlich auf. Mit Zwangsausgrenzung meinte sie Einschränkungen für Ungeimpfte. Wir berichteten also über Proteste gegen diese Maßnahmen – und als direkte Reaktion warf sie uns vor, genau dies nicht zu tun. Wir zitierten die Slogans der Demonstranten – und ließen sie angeblich nicht zu Wort kommen.

Dass wir sehr wohl berichteten und zitierten, stieß allerdings ebenfalls auf Kritik. Ein solcher Protest sei keinen Artikel wert, beschwerten sich andere Leser. Wir dürften den Demonstranten und ihren Forderungen kein Forum bieten. „Wieso verbreiten die Medien wieder solche negativen Schlagzeilen, damit noch mehr Menschen das Vertrauen in die Impfung verlieren und es somit noch mehr Impfgegner gibt?“, fragte uns eine andere Leserin zu einem anderen Bericht, in dem es um Corona-Tote trotz vollständiger Impfung ging – ein Thema also, das wir laut den einen angeblich verschweigen, laut den anderen hingegen ausdrücklich verschweigen sollten.

Diese wenigen Beispiele zeigen, in welchem Dilemma wir Journalisten uns befinden. Was ist unsere Aufgabe während der Pandemie? Können und dürfen wir uns auch in einer solchen Situation auf die Position des neutralen Beobachters zurückziehen, der allein der Wahrheit verpflichtet ist? Dürfen und müssen wir also auch über negative Folgen von Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und über deren Kritiker berichten, obwohl dies die Akzeptanz eben dieser Maßnahmen mindern und damit den Erfolg der Pandemiebekämpfung insgesamt gefährden könnte? Oder sind die Gefahren, die von diesem Virus ausgehen, so groß und ist der Schutz vor diesen Gefahren von so übergeordneter Bedeutung, dass wir den Grundsatz einer vielfältigen und ausgewogenen Berichterstattung außer Kraft setzen müssen?

Ich meine: Gerade in einer solch lang anhaltenden Krise ist Vertrauen das höchste Gut. Vertrauen beruht auf Glaubwürdigkeit, und glaubwürdig wiederum können wir nur sein, wenn wir uns streng an die Fakten halten; wenn wir nichts verschweigen, aber auch nichts aufbauschen. Unsere Aufgabe ist es, unseren Leserinnen und Lesern alle erforderlichen und verfügbaren Informationen zur Verfügung zu stellen und so verständlich aufzubereiten, dass sie sich selbst ein Urteil und eine Meinung bilden und auf dieser Basis selbst entscheiden können.

Das sagt die Wissenschaft

Wie gut uns – den Medien in Deutschland insgesamt – das bislang gelungen ist, darüber gibt nun eine wissenschaftliche Studie Aufschluss. „Einseitig, unkritisch, regierungsnah?“ lautet ihr Titel – mit einem Fragezeichen, wohlgemerkt. Kommunikationswissenschaftler aus Mainz und München haben die Qualität der journalistischen Berichterstattung über die Corona-Pandemie anhand von 5000 Beiträgen in elf Medien (Print und TV) untersucht, die in der Zeit von Januar 2020 bis April 2021 erschienen sind. Und sie kommen zu einem durchaus zwiespältigen Ergebnis.

Die Autoren bestätigen, was auch die eingangs zitierten Demonstranten den Medien letztlich vorwerfen – nämlich dass laut Studie „fundamentale Gegner der Corona-Politik (‚Querdenker’) und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Gefährlichkeit des Virus und der Pandemie rundheraus abstritten, in den traditionellen Nachrichtenmedien kaum Gehör fanden“. Das aber stellt aus Sicht der Forscher keineswegs einen Mangel an journalistischer Qualität dar, im Gegenteil. Würden die Medien nämlich gut gesicherten Erkenntnissen auf der einen und unbelegten Behauptungen auf der anderen Seite dasselbe Gewicht beimessen, dann entstünde der falsche Eindruck, beide seien gleichwertig. Das sind sie aber nicht.

Um es mit einem drastischen Beispiel zu veranschaulichen: Nur, weil Einzelne behaupten, die Erde sei eine Scheibe, müssen (und sollten) Medien dem nicht dasselbe Gewicht beimessen wie der vielfach bewiesenen Tatsache, dass es sich um eine Kugel handelt.

Und wie steht es um den Vorwurf, die Medien berichteten unkritisch und regierungsnah? Da kommen die Forscher zu einem sehr klaren Ergebnis: „Kritik war in den Medien sehr deutlich vorhanden, sowohl an den amtierenden Regierungen und ihren Repräsentanten als auch an den Corona-Maßnahmen.“

Wie Wissenschaftlern und Politikern, so fehlte allerdings auch Journalisten die Erfahrung mit einer Pandemie dieses Ausmaßes. Wie gefährlich das neuartige Virus wirklich ist, wie es sich verbreitet und verändert, welche Gegenmaßnahmen wie wirken – all das galt es zunächst noch herauszufinden. Das machte – und macht auch weiterhin – die Berichterstattung darüber so herausfordernd.

Und in diesem Punkt bescheinigen die Forscher den Medien, dass sie manches hätten besser machen können. Journalisten müssten sich stärker darum bemühen, das Verständnis für das Funktionieren von Wissenschaft zu fördern und ein Bewusstsein für die Unsicherheit und Vorläufigkeit wissenschaftlicher Befunde zu schaffen. Sie plädieren zudem für eine Berichterstattung, „die nicht nur Probleme aufwirft und Fehler der Handelnden kritisiert, sondern auch Erfolge thematisiert und Lösungen aufzeigt“.

Wir in der GN-Redaktion bemühen uns darum. Gerade eine Lokalzeitung hat die Aufgabe zu erklären, was die großen Themen bei uns im Kleinen, im Alltag der Grafschafter bedeuten, welche Auswirkungen sie haben und wie die Menschen hier im Landkreis damit umgehen. Wie gut uns das gelingt? Mal besser, mal schlechter, vermute ich. Wissenschaftliche Studien, aber gerade auch die Rückmeldungen unserer Leserinnen und Leser helfen uns dabei, es häufiger besser und seltener schlechter zu machen.

Alle werden wir allerdings wohl nie von unserer Arbeit überzeugen können. Bei der eingangs zitierten Leserin zum Beispiel, die uns aufforderte, auch „differenzierte andere Meinungen“ zu Wort kommen zu lassen, habe ich meine Zweifel. Sie hat uns zwar anonym geschrieben. Ihre E-Mail-Adresse führt jedoch zu einer Grafschafterin, die sich selbst als „Astrologin und Hellseherin“ bezeichnet und zu deren Dienstleistungen das Legen von Karten gehört – eine „Wissenschaft“, über die wir in der Tat nicht ausgewogen berichten, weil wir ihr deutlich weniger Gewicht beimessen als beispielsweise der Virologie.

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Martin Lüken,
Sportredakteur